Das mehrteilige Fortbildungsprogramm – diesmal eine Kooperation von ConAct und IJAB – begleitete 17 Fachkräfte der Internationalen Jugendarbeit vom 14.–21. September 2025 aus Deutschland nach Israel. Ziel ist es, ihr Wissen zur Geschichte Israels zu erweitern, Erinnerungskultur in Israel kennenzulernen und Einblicke in israelische Diskurse sowie den vielfältigen Lebensalltag zu erhalten, der noch immer vom 7. Oktober geprägt ist.
Einblicke in israelische Diskurse und den vielfältigen Lebensalltag erhalten
Ein Verständnis der israelischen Gesellschaft heute ist nicht möglich, ohne sich mit dem Trauma des 7. Oktobers 2023 auseinanderzusetzen. Auf sehr bewegende Art und Weise geschah dies bei einem Treffen mit Re’ut Karp aus dem Kibbutz Re’im an der Grenze zum Gaza-Streifen. Sie berichtete, wie sie den Tag des Überfalls erlebte und wie sie und ihre Familie heute mit dem Trauma leben. In ihren Gesprächen ist es ihr ein Anliegen an Dvir Karp (ihren Ex-Mann und Vater ihrer Kinder) zu erinnern, der damals vor den Augen der Kinder im Kibbutz ermordet wurde.
Angesichts der Schrecken des 7. Oktober stellte sich im Workshop von und mit Anita Haviv-Horiner „Israel als sicherer Hafen?“ die Frage, welche Bedeutung der Staat Israel weiterhin als sicherer Zufluchtsort für Jüdinnen:Juden weltweit hat. Anita, Jan und Emily hatten sich zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben und aus verschiedenen Beweggründen entschlossen, nach Israel einzuwandern, und berichteten, wie sie ihre Entscheidung heute bewerten. Alle drei betonten, dass das subjektive Sicherheitsgefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, für sie überwiegt – trotz der objektiven Unsicherheit, die das Leben in Israel im Krieg mit sich bringt. In Israel fühlten sie sich auf eine Art zu Hause, wie es in ihren jeweiligen Herkunftsländern, Österreich, Polen und Großbritannien, nie der Fall gewesen sei.


Die Komplexität und Stimmenvielfalt der israelischen Gesellschaft kann mitunter überfordernd wirken. Polly Bronstein von der One Hundred Initiative, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzt, schärfte mit ihrem Vortrag den Blick der Teilnehmenden für die verschiedenen Bevölkerungsteile und deren Perspektiven auf politische und gesellschaftliche Fragen. In einem Gespräch mit Vertreter*innen der Jugendbewegungen, die gleichzeitig Reservedienst leisten, wurden unterschiedlichen Haltungen zum Krieg in Gaza deutlich und es zeugte davon, wie der Militärdienst in Gaza ihren Alltag und den ihrer Familien beeinflusst.
„Ich verstehe besser, was die israelische Gesellschaft ausmacht. Trotz der Diversität, trotz der unterschiedlichen Lebenswege und Einstellungen, scheint der Gedanke, dieses Stück Land, dieses Zuhause für Jüd:innen aus aller Welt unbedingt zu halten und zu verteidigen, die Mehrheit der israelischen Gesellschaft zusammenzuhalten.“
Teilnehmer*in der Begegnungsreise


Wie Zusammenleben von unterschiedlichen Bevölkerungsteilen gelingen kann, erfuhren die Gruppe bei Stadtführungen in Haifa und Akko – zwei Städte, die sich durch ihre multiethnische und -religiöse Bevölkerung auszeichnen. Nachbarschaften wurden besucht, die von Grass-Root-Community-Arbeit geprägt sind und Menschen mit verschiedenen sozioökonomischen, religiösen und ethnischen Hintergründen ein zu Hause und eine Gemeinschaft bieten. Einmal mehr wurde klar, wie fragil das friedliche Zusammen- oder Nebeneinanderleben insbesondere von arabischen und jüdischen Israelis ist und zugleich, wie stark sich einzelne Initiativen für dessen Gelingen einsetzen.
„Verändert hat sich für mich das Bedürfnis zu eindeutigen politischen Urteilen zu kommen. Mir ist es wichtiger geworden, zunächst einmal zuzuhören und die unterschiedlichen Perspektiven aus dem individuellen Erleben der Menschen nachzuvollziehen.“
Teilnehmer*in der Begegnungsreise
Erinnerungskultur in Israel kennenlernen
Wenn man sich mit israelischer Gedenkkultur auseinandersetzen will, ist die Internationale Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem der zentrale Ort. Zentrales Anliegen der Gedenkstätte ist es, die Namen und Geschichten einzelner Opfer sichtbar zu machen und derer zu gedenken, deren Namen und Erinnerung ausgelöscht werden sollten. Auch der jüdische Widerstand, das Überleben und Weiterleben nach der Shoah haben in der israelischen Gedenkkultur einen höheren Stellenwert als in Deutschland. Für die Fachkräfte der Internationalen Jugendarbeit lag daher der Fokus auf dem Konzept sowie der Entstehungsgeschichte der Ausstellung und der Gedenkstätte.



Seit dem 7. Oktober steht die Erinnerungskultur in Israel vor neuen Fragen und Herausforderungen. In Yad Vashem wurde zum Beispiel die Bitte diskutiert, ob man einen Gedenkraum zum 7. Oktober 2023 einrichten solle. Die Gedenkstätte grenzt sich davon aber sehr klar ab, da sie den Schwerpunkt auf die Shoah bewahren möchte. Die Diskussion darüber, wie sich die Erinnerung an den 7. Oktober und an die Shoah aufeinander beziehen werden, steht noch ganz am Anfang.
Nach einer Woche voller Eindrücke fasst eine Teilnehmende zusammen:
„Meine Diffusität zu diesem Land, das ich vorher noch nie besucht habe, ist etwas weniger geworden. Die Eindrücke, die Erzählungen und verschiedenen Perspektiven, die wir bisher erhalten haben, bewegen mich sehr, aber ich will sortieren und verstehen.“
Teilnehmende der Begegnungsreise
In Kooperation mit IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. bot ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch im Jahr 2025 ein Lernangebot zum Umgehen mit Antisemitismus für Fachkräfte der Internationalen Jugendarbeit in Deutschland an.
Das Diskursprojekt umfasst drei Module: eine Seminarwoche in Deutschland – eine Begegnungsreise nach Israel – ein Seminar zur Entwicklung antisemitismussensibler Bildungskonzepte und Projektideen für die trägereigene pädagogische Praxis.


