Sicherheit im Umgang mit Antisemitismus im pädagogischen Alltag stärken durch Bildung in Deutschland und Begegnung mit Israel – auch 2024
Die mittlerweile achte Gruppe von pädagogischen Fachkräften startete vom 13. bis 17. Mai 2024 in Hannover mit der dreiteiligen Fortbildung von ConAct zum Umgang mit Antisemitismus zwischen Bildung in Deutschland und Begegnung mit Israel – Kernstück des Projekts „Sichtbar Handeln! Gegen Antisemitismus.“
Wo begegnet mir Antisemitismus in meinem Arbeitsalltag? Wie kann ich ihn überhaupt sicher erkennen? Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit der Erinnerung an Nationalsozialismus und Shoah sowie die Begegnung mit jüdischem Leben für die Arbeit gegen Antisemitismus? Diese Leitfragen begleiteten die Fachkräfte aus Jugend- und Bildungsarbeit während des ersten Teils des Lern- und Diskursangebots. Ein weiterer Schwerpunkt des Seminars: die zusätzlich neuen Herausforderungen infolge des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 für die Bildungsarbeit.
Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart
Anhand der Übung der Methodensammlung für die antisemitismussensible Bildungs- und Begegnungsarbeit setzten sich die Teilnehmenden mit historischen Hintergründen teils jahrhundertealter antijüdischer Bilder und Mythen auseinander. Die Beschäftigung mit Funktionen und Folgen judenfeindlicher Stereotype verdeutlichte, dass Antisemitismus kontinuierlich einfache und entlastende Antworten auf komplexe Fragen bot und häufig mit Gewalt und Ausgrenzung einherging.
Daran anknüpfend stellte ein Referent der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Niedersachsen einen Überblick über aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus dar. Die Vorstellung zentraler Ergebnisse des Monitorings veranschaulichte die erhebliche gesellschaftliche Verbreitung von Antisemitismus. https://www.report-antisemitism.de/rias-niedersachsen/
Kennenlernen jüdischer Geschichte und Gegenwart
Beim Besuch der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover war insbesondere eine Einführung in den liberalen Gottesdienstritus durch eine Gemeindemitarbeiterin für die Teilnehmenden bereichernd: Warum werden die Thorarollen hinter einem Vorhang aufbewahrt? Was hat es mit den Knoten an den Enden des Gebetsschals auf sich? Welche Rolle haben Frauen bei der Gestaltung des Gottesdienstes? Die Gemeindepädagogin berichtete voller Begeisterung von der Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde – mit eigener Kindertagesstätte und verschiedenen Jugendgruppen – sowie eigenen Erfahrungen in jüdischen Jugendgruppen. Die Seminarteilnehmenden erfuhren, dass diese Gruppen einen sicheren Raum darstellen. Dort lernen Kinder- und Jugendliche jüdische Riten kennen und nähern sich spielerisch vielfältigen Themen, wodurch die eigene jüdische Identität definiert und verhandelt werden kann.
Auseinandersetzung mit der Geschichte von Nationalsozialismus und Shoah
Der Workshop zur Geschichte der Erinnerungskultur in Deutschland eines Mitarbeiters der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten verdeutlichte, dass die Entwicklung der Erinnerung an und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah von vielen Faktoren war. Für die Teilnehmenden war erstaunlich, dass Meilensteine wie die juristische Verfolgung der Täter*innen oder die Einrichtung von Gedenkstätten auf das Engagement mutiger Menschen zurückzuführen sind.
Beim Besuch der Gedenkstätte „Ahlem“ stand die Geschichte der Einrichtung als zentrale Sammelstelle für Deportationen und Außenstelle der Gestapo im Mittelpunkt. Anhand von Ausstellung und Außengelände wurden Formen der Erinnerung an die Verfolgten konkret. Die Wand der Namen enthält bewusst einige leere Felder und versucht Einzelschicksale zu zeigen. Eine alte Kastanie auf dem Gelände, die mittlerweile als Naturdenkmal geschützt ist, verweist auf die wechselvolle Geschichte des Ortes: Einst als „Israelitische Gartenbauschule“ gegründet, wurden in Ahlem mehrere Generationen jüdischer Schüler*innen ausgebildet und erlangten international Anerkennung für ihre Fähigkeiten. Mit Beginn der nationalsozialistischen Verfolgung diente die Schule schließlich der Vorbereitung zur Auswanderung. Nach Inbesitznahme durch die Gestapo wurden in der ehemaligen Laubhütte Hinrichtungen durchgeführt. Um die Spuren zu beseitigen, wurde das Gebäude am Kriegsende abgebrannt. Der Baum trägt davon noch immer erkennbare Brandspuren.
Der 7. Oktober 2023 als Zäsur
Das Seminar vermittelt grundlegende Kenntnisse zum Umgang mit Antisemitismus und dessen Charakter als alltagsprägende Erfahrung. Diesmal war in vielen der Gespräche auch zu anderen Themen und Übungen erkennbar, dass der 7. Oktober einen großen Einschnitt bedeutet. Jüdische Gesprächspartner*innen berichteten, dass sich seit diesem Tag vieles verändert habe. In Deutschland sei ein Erstarken des Antisemitismus wahrnehmbar, dass das eigene Sicherheitsgefühl eingeschränkt. Die enorm gestiegenen Zahlen antisemitischer Vorfälle unmittelbar nach dem 7. Oktober verweisen ebenfalls darauf.
Mir ist durch den 7. Oktober bewusst geworden, dass Antisemitismus einen Auslöschungswunsch von allem Jüdischen in sich trägt.
Teilnehmer*in der Fortbildung
Mit diesen Worten verknüpfte eine Teilnehmerin ihre Lernerfahrungen aus den ersten Seminartagen mit den Erkenntnissen aus einer Einheit zum 7. Oktober. Die Gruppe konnte durch die Beschäftigung mit verschiedenen israelischen Perspektiven auf die Ereignisse ermessen, wie traumatisierend der Terrorangriff der Hamas wirkt(e). Im Fokus standen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen des Angriffs selbst und des folgenden Krieges Israels gegen die Hamas.
Handlungsoptionen zum pädagogischen Umgang mit Antisemitismus
Abschließend erarbeiteten sich die Teilnehmenden Handlungsoptionen für Situationen, in denen antisemitische Äußerungen getätigt werden. Dabei stellten sie fest, dass die intensive Lern- und Reflexionserfahrung der Seminarwoche sie mit gestärkten Fähigkeiten zum Erkennen und Erwidern von Antisemitismus ausgestattet hat.